Therapie

Mit Figuren ausdrücken, was nicht in Worte gefasst werden kann oder wo Bäume fliegen, Schlüssel sprechen und Löwen tauchen können.

Eltern und Bezugspersonen können die meisten Schwierigkeiten im Alltag ihrer Kinder gut alleine bewältigen, doch manchmal bringen uns unerwartete und schwierige Lebensumstände an die eigenen Grenzen. Wenn wir nicht mehr weiter wissen, wenn der Leidensdruck zu gross und dadurch der Alltag zu stark beeinträchtigt wird, kann es sinnvoll sein, sich von aussen Unterstützung zu holen.

Können belastende Lebenssituationen nicht verarbeitet werden, kann dies die kindliche Entwicklung gefährden. Damit Kinder Krisensituationen bewältigen können, brauchen sie kindgerechte Ausdrucksmöglichkeiten.

Hier kann eine Figurenspieltherapie hilfreich und entlastend sein. Oft reichen schon einige Stunden aus, um neue Wege aus festgefahrenen Verhaltensmustern oder ausweglos scheinenden Situationen zu finden. Manchmal ist eine längere Begleitung notwendig.

Die Figurenspieltherapie ist eine ganzheitliche, musische Spiel- und Kunsttherapieform, die auf dem Ansatz der personenzentrierten Psychotherapie basiert. Die Idee, Figuren in Pädagogik und Therapie systematisch und gezielt einzusetzen, kam in den 1920er-Jahren mit der Entwicklung des Psychodramas (Jacob Levy Moreno 1892-1974) in den USA und später in Europa auf. Psychodrama bedeutet, Gefühle, Gedanken und Empfindungen, welche auf der «inneren Bühne» vorhanden sind, auf einer «äusseren Bühne» auszuspielen. Verdrängte und unerlaubte Gefühle können so im Spiel ausgelebt und verarbeitet werden.

Die Figurenspieltherapie bietet dem Kind innerhalb eines geschützten und begleiteten Rahmens die Möglichkeit, seelische Belastungen spielerisch zu verarbeiten und sich mit herausfordernden Lebenssituationen auseinanderzusetzen. Im symbolischen Spiel kann das Kind ausdrücken, was es nicht in Worte fassen kann. So kann das Figurenspiel als eine Art Ventil angesehen werden.

Durch das wertfreie Spiel auf der Symbolebene fühlt sich das Kind angenommen und verstanden. Dabei wird es ermutigt, eigene Lösungen zu suchen und Lösungswege auszuprobieren. Dadurch kann das Kind neue Strategien entwickeln, wird in seinem Entwicklungsprozess, seinen Fähigkeiten und Ressourcen unterstützt und in seinem Selbstvertrauen gestärkt.

Im therapeutischen Figurenspiel bringt das Kind seine eigenen Geschichten und Erlebnisse auf die Bühne. Zur Umsetzung seiner Geschichten stehen ihm unterschiedliche Spielbühnen, eine vielfältige Auswahl an Menschen- und Tierfiguren, Fabelwesen und Requisiten zur Verfügung.

Der Handlungsort, die vom Kind mit unterschiedlichen Materialien und Requisiten selber gestaltete Bühne, ist überblickbar und wandelbar. Sie kann jederzeit vom Kind verändert und umgestaltet werden und bietet unerschöpfliche Möglichkeiten.

Die vom Kind gewählten Figuren und Requisiten können und dürfen alles! Sie können z.B. Kontakte knüpfen, neue Freunde finden, Streit schlichten, neue Erfahrungen wagen, sich wehren, sich verstecken, wütend sein, angreifen, sich verteidigen, weinen, lachen, zaubern, sich verwandeln usw. Nichts ist im therapeutischen Figurenspiel unmöglich. Hier können sogar Bäume fliegen, Schlüssel sprechen und Löwen tauchen.

Die Figuren sind sehr duldsam und können viel ertragen, auch Situationen, die das Kind selber nicht zu tragen vermag. Sie sind manipulierbar und gehorchen den Anordnungen des Kindes bedingungslos. Eine Angst, die sich z.B. in einer Hexe oder einem ungeheuerlichen Tier materialisiert, kann dem Kind nichts mehr anhaben, es kann sie anfassen, sie beherrschen, es kann mit ihr spielen oder sie wegsperren. Das Kind verleiht jeder Figur einen einzigartigen Charakter und bestimmt, welche Figuren es selber spielen will und welche die Therapeutin gemäss seiner Wahl und seinen Anweisungen spielen soll. Durch das Spiel kann sich das Kind Erlebtes, Bedrücken-des oder Erfundenes von der Seele spielen und neue Rollen und Verhaltensweisen ausprobieren.

Je nach Bedürfnis des Kindes werden einzelne Momente, gewisse Szenen, oder ganze Geschichten wiederholt, weiterentwickelt oder mit anderen Figuren neu inszeniert. Dadurch gelingt es dem Kind, belastende Dinge zu verarbeiten, neue Strategien auszuprobieren und mit schwierigen oder unangenehmen Situationen fertigzuwerden.

Mit einfachen Techniken und einer breiten Palette an Materialien kann das Kind eigene Figuren und Requisiten erschaffen. Das Erschaffen und Beseelen der eigenen Figur sowie das Spielen mit den eigenen Figuren sind wichtige Inhalte im therapeutischen Prozess. Jede gestaltete Figur ist ein Teil ihrer selbst. Ein inneres Bild wird sichtbar und fassbar gemacht. Das Fassbare bekommt einen Namen, kann eingeordnet werden und wird zum steuerbaren Gegenüber. Indem Figuren dreidimensional gestaltet werden, können sie von verschiedenen Seiten betrachtet werden. Alles hat mindestens zwei Seiten. So kann eine Figur zum Beispiel gut und böse, stark und schwach sein. Und wenn wir sie auf der Hand halten und mit ihr spielen, strahlt sie zurück, und unser Innenleben spielt sich, nun selbständig geworden, lebendig vor unseren Augen ab. Dies geschieht bei Kindern vollkommen unbewusst und intuitiv.

So ist jede vom Kind erschaffene, verlebendigte Figur und die Auseinandersetzung damit für das Kind ein kleiner Schritt zu sich und seiner Lebensgeschichte.

Die Therapeutin begleitet und unterstützt das Kind durch seine Geschichten, ohne das Geschehen zu beeinflussen oder die Regie zu übernehmen. So bleibt das Kind Regisseur von seinen eigenen Geschichten und kann jederzeit in das Geschehen eingreifen und seine Geschichte beenden oder ihr eine Wende geben.

Die Therapeutin orientiert sich am Personenzentrierten Konzept nach Carl Rogers (1902-1987), der diesen Ansatz 1942 in den USA entwickelte. Dabei ist die Beziehung das zentrale Element von Therapie und Beratung. Dieses Beziehungsangebot ist durch folgende Merkmale definiert: Einfühlendes Verstehen, unbedingte Wertschätzung und Echtheit/Kongruenz.

Weitere Materialien wie Farbe, Sand, Ton, Holz, Karton, Papier, Stoff und Wolle werden von der Therapeutin gezielt eingesetzt, um Themen sichtbar und fühlbar werden zu las-sen. Diese kreativen Tätigkeiten bereichern und unterstützen den Therapieprozess. Sie ermöglichen dem Kind, seinen inneren Bildern Gestalt zu geben, und Märchen und Geschichten ergänzen die therapeutische Begleitung und bieten dem Kind die Möglichkeit, sich in der Thematik wieder zu erkennen und sich mit der Hauptfigur zu identifizieren.

Gespräche mit Eltern, Bezugs- und Fachpersonen sind Bestandteil der Therapie und helfen, gemeinsam Verständnis für den inneren Prozess des Kindes zu entwickeln und die Therapie positiv zu beeinflussen.